Wir schauen True Detective - Staffel 2, Folge 6

28.07.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
True DetectiveHBO
20
5
In der drittletzten Folge entledigt sich True Detective des Ballasts störender Nebenhandlungen und steuert geradeaus auf ein atmosphärisches Episodenfinale zu, wie es diese Staffel noch nicht gesehen hat.

Die Kirche der True Detective-Anhänger liegt zwar nicht in Ruinen, ist aber definitiv einsturzgefährdet, wenn wir dem Eindruck glauben schenken, der in den Medien entsteht. Mit dem elendstouristischen Hate-Watching und den Rufen der Apologeten als Hintergrundrauschen folgt Chuch in Ruins zwar dem gleichen Muster wie alle Folgen zuvor: Richtig spannend wird es wieder erst in den letzten 10 Minuten. Doch während die letzten Folgen noch oft viel zu voll mit uninteressanten Nebenhandlungen waren, punktet diese Woche mit Stringenz, Struktur und Atmosphäre.

"Don't you fucking shoot me, Ray!"

Wir erinnern uns, die letzte Folge endete mit einem fuchsteufelswilden Ray, der mit der Pistole im Anschlag an Franks Tür klingelt, um ein ernstes Wörtchen über den falschen Vergewaltiger von Rays Frau zu reden. Doch "If you were sellin', it wasn't me buyin'", sagt Vince Vaughns Frank Semyon während des Standoff-artigen Kaffeetrinkens zwischen ihm und Colin Farrells Ray Velcoro. Er meint damit die "Seele", die Ray während des Mordes am vermeintlichen Vergewaltiger verkauft hat. Franks Information war fehlerhaft, der wahre Täter wurde von der Polizei geschnappt und nun ist die ohnehin schon geringe Vertrauensbasis zwischen Ray und Frank dahin. Es sollte eine intensive, spannende Auftaktszene zwischen zwei impulsiven Menschen sein, die jeden Moment hätte kippen können. Stattdessen habe ich mich mehrmals beim Lachen über die unfreiwillige Komik dieser Szene erwischt, vom antiklimaktischen Ende des Auseinandersetzung mal ganz abgesehen. Als sich herausstellt, dass selbst Frank keine Ahnung davon hatte, dass er Ray den falschen Mann ausgeliefert hat, nimmt die Unterhaltung plötzlich einen gänzlich versöhnlichen Ton an. Und als beide ihre Hände von der Waffe in ihrem Schoß auf den Tisch legen, haben sich beide Männer schon fast lieb. "You might be one of the last friends i've got", sagt Frank zu Ray, "Wouldn't that be fucked up", erwidert Ray zum Abschied.

Ernster geht es am neu entdeckten Tatort von letzter Woche zu. Staatsanwältin Davis (Michael Hyatt) bringt wieder ein schönes Stück Struktur in die Folge, indem sie klarstellt, was jeder zu tun hat: Paul (Taylor Kitsch) konzentriert sich auf die Diamanten-Spur, Ani (Rachel McAdams) geht undercover als Sex-Party-Prostituierte. Woodrugh findet heraus, dass die Diamanten aus einem Juwelier-Raub von 1992 stammen. Die Täter wurden nie gefunden, nur zwei traumatisierte Kinder, deren Eltern beim Überfall erschossen wurden. Etwas weiter kommt Frank, der sich mit etwas unlauteren Mitteln Informationen über Irina Rulfo, die Komplizin des getöteten Ledo Amarillo, erfoltert. Sie hatte Wertsachen aus Casperes Haus zum Pfandleiher gebracht, die sie von einem Mann bekommen hat."Thin, white. He was a cop", beschreibt sie ihn. Attribute, die auf Detective Burris (James Frain) zutreffen. Doch bevor sie ihn identifizieren kann, wird sie in einer der überraschendsten Szenen der ganzen Staffel umgebracht. "Bitch was working for cops." So einfach ist das.

"Just let him believe I’m his father, and I’ll go away."

Worin die Folge gewinnt, ist die stringente Konzentration auf die Aufklärung des Falls. Sie verzichtet weitestgehend auf erzwungene Einschübe über das abgefuckte Privatleben der Protagonisten - bis auf eine Ausnahme. Rays Handlungsstrang kann so atmen und in einer Weise (zu Ende?) erzählt werden, die nicht gehetzt, sondern recht zufriedenstellend gerät. Letztendlich sieht er ein, dass die Liebe zu seinem Sohn größer ist als sein Ego. Genauso sehr wie Frank bereit war, einen verlustreichen Deal im Austausch gegen Informationen einzugehen, ist Ray dazu bereit, für immer aus dem Leben seines Sohnes zu gehen. Chad muss so nie herausfinden, dass er womöglich das Ergebnis einer Vergewaltigung ist. Dass Ray nur zu dieser Erkenntnis kommt, nachdem er auf Koks und Alkohol die Wohnung mit den Modellflugzeugen - das einzige, das ihn mit seinem Sohn verbindet - in Schutt und Asche gelegt hat (Church in Ruins!), steht im starken Kontrast zu Chads Reaktion. Er isst lieber Pizza und guckt Friends ("Friends? That show that's like 20 years old? I had an old girlfriend that used to watch it.").

Das Beste kommt wie immer bei True Detective zum Schluss. Hier ist es allerdings mehr die Inszenierung als das Drehbuch, die Bezzerides Undercoveraktion so beklemmend und unberechenbar macht. Zu allererst fällt der Soundtrack auf. Eine kurze Googlesuche ergibt, dass es sich um "The Anfortas Wound" aus John Adams' Harmonielehre  handelt. Plötzlich verwandelt sich True Detective in einen Film noir, die Musik treibt die Spannung, das Bild ist wegen der Drogen, die sie Ani gaben, immer wieder verschwommen. Im Hintergrund finden Sexorgien statt, alles ist ein Rausch, Ani hat Visionen eines bärtigen Mannes, der eine wichtige aber traumatisierende Rolle in ihrem Leben gespielt zu haben scheint. Am Höhepunkt der Szene darf Ani endlich ihr Messer benutzen und tötet (?) dabei einen der Männer, bevor sie Vera (die vermisste Person vom Beginn der Staffel) findet und mit ihr, Ray und Paul Richtung Vollmond verschwindet. True Detectives zweite Staffel war selten so atmosphärisch.

Beobachtungen am Rande:

  • Im Gegensatz zum Mini-Standoff mit Ray zu Beginn befindet sich Frank später in einem echten: "That's one off the bucket list - Mexican standoff with actual Mexicans."
  • Ich bin beruhigt, dass ich nicht als einzige oft Probleme hab, der mändernden Handlung zu folgen, wie dieses viral gegangene Poster beweist.

Das Friends Theme "So no one told you life was gonna be this way. Your job's a joke, you're broke, your love life's D.O.A." spiegelt Rays Situation ziemlich genau wider.

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